Ein feines Abgasflimmern, und Benzingeruch, glänzender Lack, spiegelnde Radkappen, lila-himmelblau beleuchtet. Reinzoomen. Über Ausschnitte streunen. Grau-metallisé spannt sich das Schutzzelt über vier Neuwagen am Strassenrand. Auf der Plastikblache und auf der Hausmauer erkennbare Buchstaben: Garage Blaser AG. Kahle Laubbäume, trockene, klamme Luft, geruchlos strahlender Asphalt. Später Herbst, oder Februar, ohne Schnee, wie jetzt immer, ohne Schnee. Weiss Sanitär AG, Kertész Kabel AG, Ribeiro Reinigungen GmbH, National Protection Service 24 AG, Baumpflege Hofstetter AG, Ergotherapie, Fussballclub, Time for Nails, Samariterverein. Getäuscht vom Funkenmeer und den hell ausgeleuchteten Bahnen starren wir in einen warm glitzernden Vorabend. Zusammengefasst in einem Viereck aus Nacht und Licht. Reinzoomen. Entblösst die unwirtliche Stille aus Metall, Stein, Glas. Kein Mensch ist unterwegs im zerfransten Weiss und Orange der Strassenbeleuchtung, auf den scharf gezeichneten Zickzackflächen, den geordneten Streifen und unterbrochenen Linien, kein einziger, auch kein Hund. Arche Bestattungen GmbH, A1 Anhänger und Fahrzeuge GmbH, Fusspflege Francine, Fitnesspark Time-out, Aldi, Coop, Intersport. Stef’s Kultur Bistro, kha-ayurveda, Health4you, Tophaar GmbH, Bonaventura Beratungen. Indigo Reisen, Backbord Bäckerei, Wasserbett- und Schlafcenter.

Ein Wochentag, Feierabend, ein Tag wie immer. Berger, Moser, Hertig, Näf, Nagamuththu. Da Cruz, Da Silva, Donati, Netos, von Gunten. Schwarzenbach, Aeschlimann, Acikgöz. Das benutzte Geschirr in die Maschine räumen, eine Freundin anrufen, Wäsche in die Schränke legen, im Kerzenlicht sitzen, am Telefon streiten, ein Schlaflied summen, sehr laut Musik hören. Den erleuchten Fenstern Geschichten entlocken. In eure Wohnzimmer zoomen. Die blau schimmern, von der Welt, die über die Bildschirme flimmert, stumm leuchten von der Hängelampe über dem gedeckten Tisch. Schlieren von Angebratenem drängen aus der Küche, würziger Knoblauch, durch den Flur zieht der Geruch von Badezusatz, vermischt sich mit dem Dunst des verschwitzten Trainers, der auf dem Heizkörper trocknet. Ein Fondue vielleicht, das Fenster nur schnell öffnen, weit. Abplanalp, Accola, Tiryaki. Hänni, Rüedi, Tolic, Tönz. Zugezogene Gardinen, ein flauschiger Teppich, Tomatensauce fällt auf ein ausladendes Sofa im 4. Stock. Die Neugier strandet am Pixel.
An das Verlangsamen des Zuges, daran erinnert mich das blinkende Schwarz, die zwei, drei, acht Ausschnitte, den Wohnblöcken entlang. Drei Küchenzeilen übereinander, Neonlicht, Stoff flattert, die Sekunden reichen nicht, für die Gestalt am Herd, die Bewegung am Tisch. Hineinstarren, Bilder einfrieren, ein Leben erhaschen. Und ich denke an die Türchen eines Weihnachtskalenders, während der Zug die Geschwindigkeit drosselt, vorbeigleitet, Milano Centrale, Bern Hauptbahnhof.
Rauszoomen. Es könnte eine Kulisse sein, Inszenierung eines Winterabends, oder das für immer angehaltene Leben. Hoch oben der Mond, wie ein mit Präzisionsinstrumenten geschnittenes Loch, über schwarzen Hügelkanten, dazwischen ein bleicher, nebelfarbener Lichtschein. Und noch immer, kein Schnee.

72 m ü. B.
von Meret Arnold und Paula Sansano
mit Fotografien von Dominique Uldry
Ein Jahr lang hat der Berner Fotograf Dominique Uldry vom Dach des PTT-Hochhauses an der Grenze zwischen Bern und Ostermundigen fotografiert. Das historische Zentrum der Stadt ist weit entfernt, an ihren Rändern ist sie längst eine andere geworden, unbestimmter, vorübergehender, gemischter. Gemeinsam mit Sachkundigen aus Architektur, Fotografie, Landschaftsarchitektur und Literatur beschreiben und erträumen wir in diesem Buch, wie Bern und die Menschen zusammenwachsen könnten.
Edition Affspace, Bern 2021
240 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-9525373-1-2
CHF 46.-
Herausgegeben vom Kanton Bern in der Reihe WERK-BUCH / ŒUVRE D’ARTISTE 2021
Mit Beiträgen von Meret Arnold, Jeanette Beck, Anette Freytag, Bernhard Giger, Marcel Jäggi, Fiona Kuang, Ferdinand Pappenheim, Dominique Uldry, Philip Ursprung, Paula Sansano, Ilia Vasella und Robin Winogrond.