Windstill
Roman
2021, erschienen bei Dörlemann
160 Seiten, gebunden, Leseband
ISBN 9783038200871
Coverillustration von Anna Albisetti
Ein drückend heisser Sommermorgen im französischen Süden. Auf der Terrasse versammeln sich Feriengäste, mit ihren Kindern, unter dem Sonnenschirm, die blaue Bergkette im Blick. Dann geschieht das Unfassbare: Marie rutscht aus und stürzt. Sie ist auf der Stelle tot. Die vom Zufall zusammengeworfene Schar bahnt sich einen Weg durch die ersten Stunden nach ihrem Tod – Dorothea faltet Maries Wäsche, Odile setzt sich ans Klavier, Stephan flüchtet mit den Kindern in den Garten. Maries Tod hinterlässt Spuren, hallt nach, bei jedem Anwesenden bleiben andere Erinnerungen zurück.
Ilia Vasellas Debütroman berührt durch seine unaufgeregte, poetische Art des Erzählens und die subtile Balance zwischen Betroffenheit und Lebensfreude, Ausnahmesituation und Normalität.
Literarische Auszeichnung 2021 der Stadt Zürich
Rezensionen / Empfehlungen
perfekte romane, 9.2.2022, Bertha von Seydlitz
Viceversa Literatur, 14.9.2021, Tamara Schuler
Brigitte, 17.8.2021, Meike Schnitzler
BücherFrauen, 1.8.2021, Katrin Bietz
Lieslos!, 7.7.2021, Susanne Probst
bjoernandbooks, 05.07.2021, Björn Schäffer
NZZ am Sonntag, Kurzkritik, 27.6.2021, Martina Läubli
fuxbooks, 25.6.2021, Anne Sauer
Deutschlandfunk Kultur, 28.5.2021, Meike Feßmann
St. Galler Tagblatt, 26.5.2021, Hansruedi Kugler
MOKA das Büchermagazin, 17.5.2021
Neue Buchtipps, 27.4.2021, Chistiane Schwalb
Buchhandlung Lehmkuhl, München, 6.4.2021, Marie Katzlinger
lesenbringtwas, 19.3.2021, Ute Breuler-Jährling
Interview mit Viola Rohner
für den Lehrgang Literarisches Schreiben an der Volkhochschule Zürich
Als Marie mit dem Wäschekorb vor der Brust die Treppe zur Terrasse hinaufkommt, ist es beinahe windstill. Marie hält den Korb mit beiden Händen, sie schaut auf die hastig von den Klammern gezogenen Kleidungsstücke, nah ihren Augen, unüblich nah schlingern Buchstabenfragmente auf dem Gummiband einer Unterhose, Franz trägt sie nicht oft, geschwungene Buchstaben, blau auf schwarzem Grund, sie bemerkt sie zum ersten Mal, stellt Marie schlaftrunken fest, sie sucht das Wort, einen Sinn, und ihre Gedanken schweifen weg, zu den Dingen, die im Haus verstreut liegen, zu den Koffern, die sie packen wird für die Weiterreise, die Weiterreise mit Franz; und sie riecht den Kaffee vermischt mit dem trägen Duft des Feigenbaums. Ihr Blick rutscht nach oben, sucht Orientierung, aus dem Augenwinkel sieht sie die Katze, wie sie dem Geländer entlangstreicht, und dann Franz, wie er mit der Kaffeekanne im Türrahmen steht, als sie ausrutscht, weil etwas sich bewegt, auf das sie tritt, sich schnell wegbewegt und Marie das Gleichgewicht verlieren lässt, sie fällt nach hinten, mit einem kleinen, überraschten Schrei, ein scharfes Aufseufzen, der Korb entgleitet dem Griff ihrer Hände, Marie fällt, ihr Kopf trifft auf das metallene Rohr des steinernen Schirmfußes. Marie in ihrem schnell übergeworfenen, leicht zerknitterten Sommerkleid, Marie ist auf der Stelle tot.
In den Sommermonaten summt und surrt das Haus an allen Ecken und Enden, die Schwellen zwischen dem rissigen Gips der Zimmerwände und dem dickwandigen Grün der Umgebung lösen sich in den Geräuschen auf. Spielzeuggefährte rollen durch den Gang zur Terrasse und Stimmen schwirren auf und ab, denn die Mauern sind dick und aus Stein, aber die Böden voller Ritzen, durch welche man da und dort in die unteren Zimmer blicken kann. Das Haus mit dem grünen Herzen saugt Menschen auf und spuckt sie am Tag ihrer Abreise wieder aus, auf dem Landweg, den Gebüschen und Bäumen entlang fahren sie zum Zug, ins Dorf, zur Autobahn. Beinahe täglich wird durch die Gänge ein neues Netz gewoben, in den Knoten verfangen sich Kinder. Die Kinder springen an einem hoch, wenn sie eine Weile im Haus verbringen, und bilden ihr eigenes verwickeltes Geflecht, sie sind von Statur kleiner und halten den Winden gleichmütiger stand. Der Wind kommt unerwartet und zerrt an den Nerven der Gäste, er lässt Fenster und Türen zuschlagen im Haus auf der Hügelkuppe, in der Nacht fährt er in die Bäume, so dass ein Rauschen in den Schlaf dringt wie von Regen. Eigentlich ist das Haus ein Schloss.
Wie sie aufgebahrt liegt, Marie, in der bestickten Bluse, ihr Gesicht erstarrt, verstörend in seiner Anwesenheit, und wie ihre Hände braungebrannt bleiben auf dem hellen Überwurf, daran wird Dorothea sich erinnern wie an eine hyperrealistische und in den Details trotzdem unscharfe Malerei. Sie wird sich an das unmittelbare, oder war es ein langsames Abdämpfen der Geräusche im Haus erinnern, und an ihre erstaunte Erkenntnis, dass Geräusche so etwas wie Unbeschwertheit verlieren können. Am schärfsten gezeichnet ist ihre Vorstellung davon, wie Marie, der sie vor wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet ist, an jenem Morgen im August aus dem Zimmer schlüpft, barfuß und erleichtert, niemandem zu begegnen, da ihre Glieder schwer und ihr Atem noch bettwarm sind, und an den Kinderstimmen und dem Geklapper von Geschirr, das aus der Küche plätschert, vorbeihuscht; wie Marie den leeren Wäschekorb unter den Arm nimmt und beinahe ohne ein Geräusch durch den Gang auf die Terrasse tappt, in der Hoffnung, auch hier noch niemanden anzutreffen. Ihr Blick streift den gedeckten Frühstückstisch und die hinter dem Geländer sich ausbreitende Landschaft, Marie nimmt die Katze wahr, so vervollständigt Dorothea das Bild, die graue Katze, die durch ein Blumenbeet streicht, und das Kräuseln an ihren nackten Fußsohlen, als sie von den Fliesen der Treppe auf den morgenfeuchten Rasen tritt.
Lesungen
15. Juli 2022 kultur verussen, Lichtensteig, musikalische Lesung mit Stella Glitter, + Konzert Ella Hain
8. Juli 2022 loop Zürich, im Rahmen der Ausstellung Bagni Misti von Noel Fischer
7. April 2022 Buchhandlug mille et deux feuilles
11. November 2021 Bibliothek Oberrieden
31. Oktober 2021 im Rahmen von Zürich liest
20. Oktober 2021 Botnanger Buchhandlung Stuttgart
18. Oktober 2021 Literarische Gesellschaft Zug
15. September 2021 Harbour Front Literaturfestival Hamburg, im Rahmen der Nomination für den Klaus-Michael Kühne-Preis
18. Mai 2021 Buchvernissage im Sphères Zürich
14. Mai 2021 43. Solothurner Literaturtagen
22. März 2021 Literaturhaus Zürich
Juli 2021 Isabella Barthoff liest aus Windstill für ARD Radiofestival